Reusslandschaft
Landschaftsentwicklungsstrategien für die Periurbanen Siedlungszonen im Schweizer Mittelland
Masterthesis ETH Zürich, 2022
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Landschaftsseen für das Mittelland
Vor dem Hintergrund einer mehr oder weniger gescheiterten Raumplanung, die nicht in der Lage ist dem inneren Druck der Zersiedelung etwas entgegen zu setzen und einem Umfeld indem 70% der Schweizer Bevölkerung „das Dorf“ als Ihr Idealbild und als wünschenswerten Lebensraum erachtet, drängt sich die Frage auf, wie das urbane Dorf in hundert Jahren – also 2121 – aussehen soll?
Richtet man den Blick darauf , worauf auch die meisten Wohnungen und Häuser ausgerichtet sind: auf die Landschaft und mit Blick ins „Grüne“, scheint der Fokus der Bewohnenden klar. Diesen Paradigmenwechsel sollte auch die entwerfende Seite vollziehen.
Die Absicht dieser Arbeit ist es aufzuzeigen wie ein Landschaftsraum als Flucht- und Identifikationspunkt einer territorialen Wohnform, die den Landschaftsraum als gemeinsamen Freiraum versteht, allen dienen kann. Mit der Möglichkeit in der Landschaft zu wohnen ,soll auch aufgezeigt werden wie alternative Wohnformen zum individualistischen Wohnmodell des Einfamilienhauses, entstehen können. Umgeben von Grün und in zusammenhängenden Ökosystemen.
Der See als Modell
Als offene unbebaute Fläche dient der See hier modellhaft als Beispiel einer wieder erkennbaren Landschaft, die auch raumbildend wirkt. Ungleich dem Wald, der ebenfalls einen öffentlich zugänglichen Raum ausbildet, spannt der See eine Fläche auf, die wenn nicht topografisch gefasst, nur durch den Horizont begrenzt wird. Die Wasserfläche als kontinuierliches „Gewebe“ zwischen den einzelnen Anrainergemeinden und Akteuren vermag auch gegensätzliche Nutzungen in eine räumliche Beziehung zu bringen. Von der Kernstadt über reine Wohnquartiere, repräsentativen Gebäuden, Industrie und Hafenanlagen, bis zur Infrastruktur mit Trinkwasseraufbereitung stossen sie alle an den See.
Mit dem Gewässerschutz ist gleichzeitig auch ein Bewusstsein entstanden, das sich darin äussert, dass ein direkter Berührungspunkt mit diesem Landschaftsraum z.B. in Form eines Uferwegs von der Öffentlichkeit erwartet wird. Dieses Wertverständnis gilt es auch für die begrünte und bewohnte Landschaft zu entwickeln. Der See als Modell soll dazu dienen eine klar umrissene Fläche den Anrainern zu zusprechen, ohne die Bewirtschaftung zu verbieten, oder eine Zone zu schützen und diese damit dem Gestaltungsspielraum zu entziehen oder zu konservieren. Dabei zeigt das Beispiel des Sees auf, dass es auch selbstverständlich sein kann, eine gemeinsame Ressource nicht zu verschmutzen, damit diese allen zugänglich bleibt. Dabei Überlagern sich mehrere Nutzungsansprüche: Diejenigen der Fischenden, der Badenden, oder der Bewohnerinnen und Bewohnern, und bilden dadurch einen komplexen Raum, der nicht monofunktional von einer Nutzerinnen Gruppe beansprucht wird, sondern konstant, immer von neuem verhandelt werden muss.
Defragmentieren
In der Computersprache beschreibt das Defragmentieren einen Prozess bei dem lose Speicherfragemente wieder in eine möglichst sinnvolle Reihenfolge aneinander gereiht – reorganisiert – werden. Dadurch wird das System Leistungsfähiger und es wird weniger Speicherplatz auf der Festplatte verbraucht.
Auf ähnliche Art und Weise sollten auch Landschaften und ihre Habitate defragmentiert werden, um wieder grössere, zusammenhängende Ökoysteme zu bilden.
Elemente
Landschaftssee:
Der Landschaftssee bildet eine klar umrissene Fläche, die über Gemeinden hinweg als unbebaute Zone ausgeschieden wird . Darin sollen keine Gebäude errichtet werden, ausser sie dienen der Bewirtschaftung der Landschaft. Alle neu errichteten Gebäude innerhalb der Landschaftszone (z.B. Ställe zur Mutterkuhhaltung) müssen vollständig rückbaubar sein. Bestehende Gebäude sind nach Möglichkeit rückzubauen, asphaltierte Strassen sollen auf die Haupterschliessungsachsen reduziert und die allgemeinen Nutzungen extensiviert werden, damit ein reichhaltiges Ökosystem heranwachsen kann.
Der Landschaftssee soll sich im Massstab an der Grösse der Schweizer Seen orientieren – Ein See ist kein Tümpel, oder Weiher. Eine zusammenhängende Fläche ist Grundvoraussetzung für den landschaftlichen und ökologischen Wert. Mit der Entwicklung des Landschaftssee sollen Ökosysteme und Habitate wieder besser vernetzt und defragmentiert werden.
Uferzone:
Die Uferzone bildet ein durchgehendes öffentliches Band rund um den Landschaftssee. Dieses Band, eine Art linearer park entlastet den Landschaftssee von intensiven Freizeitnutzungen und vernetzt die umliegenden Siedlungen. Im Sinne einer Potentialfläche muss die Uferzone nicht sofort vollständig zur Parklandschaft umgebaut werden und kann auch bestehende Landwirtschaftsflächen weiterhin beinhalten. Als Pendant zur öffentlichen Bauzone sollen innerhalb
des Ufers nur bodennahe öffentliche Nutzungen und temporäre Gebäude errichtet werden, die der Allgemeinheit zu gute kommen und so den öffentlichen Charakter dieses linearen Parks unterstreichen.
Innerhalb der Uferzone liegt eine breite Promenade die sich unterschiedliche Verkehrsteilnehmer gemischt teilen und deshalb als Langsamverkehrsachse ausgebildet ist. Die Uferpromenade ist sickerfähig und chaussiert, zeichnet den Rand des Landschaftssee mit einer Linie in die Umgebung. Die 20m breite Promenade kann bei kleinerem Nutzungsbedarf langsam einwachsen und wird so selbst als Ruderalfläche zu einem weiteren Habitat für Insekten und Reptilien. Damit erhält die Uferpromenade das Potential einen grösseren Verkehrsfluss aufzunehmen und schrumpft bei kleinem Bedarf zu einem Trampelpfad.
Landschaftsbauzone:
Sowohl der Landschaftssee als auch die Uferzone dienen schlussendlich der Siedlung und den BewohnerInnen und Bewohnern und sollen durch die Landschaftsbauzone, dem letzten Element, zusätzlich gestärkt werden. Durch das Ausscheiden dieser neuartigen und grossflächigen Landschaftsbauzone soll das restliche Gemeindegebiet vom rigiden Korsett der bestehenden Bauzonen befreit werden. Das soll den Gemeinden ermöglichen neue Gebäude zusammen mit der Landwirtschaft und der Landschaft zu denken. Eine territoriale Siedlungsform, die dem Wohnen im Grünen noch näher kommt.
Voraussetzung dafür ist, dass mit der weiteren Siedlungsentwicklung die Landschaft gleichsam weiterentwickelt wird. So sollen Gebäude im Waldrand einerseits den Lebensraum „Waldrand“, der vielerorts durch die scharf zugeschnittenen Wälder abhanden gekommen ist, wieder herstellen und gleichzeitig neuen Wohnraum schaffen. Im Projektteil sind hierfür beispielhaft einige Gebäudetypen entwickelt worden.
Allen ist gemein, dass sie im Raster der Umgebung – der Landschaft – gedacht sind und nicht in verdichteter Form denkbar sind. Diese Gebäudetypen versuchen die Umgebung nicht zu zerschneiden und die Landschaft wieder zu vernetzen und zu aggregieren – zu defragmentieren. Die Überlagerung von Landschaft und Gebäude und nicht deren Trennung ist das Ziel.
Damit soll einerseits aufgezeigt werden wie ein Leben im Grünen entsprochen werden könnte und andererseits dem bestehenden Dorfkern erlauben sich wieder zu verdichten und nicht Gartensiedlung, oder Einfamilienhausquartier zu sein. So soll das Dorf als Zentrum in der Landschaft ablesbar werden und im Kontrast zum Wohnen im Grünen, einem Wunsch nach einer kollektiven Wohnformen folgen.
Zuallerletzt verlangt all dies eine Abkehr vom persönlichem Haus im persönlichen Garten. Ich glaube, dass die privaten Gärten sich zugunsten einer grossen Landschaft auflösen sollten. Nicht für die Tiere, für das Klima, sondern für die BewohnerInnen selbst, die so von einem noch grösseren Garten profitieren können, den sich aber alle Organismen teilen müssen – Einen Garten der durch den Akt des Einzäunens nur kleiner werden kann.